Wie die Helmstedter um ihren Goldschatz gebracht wurden
Der Finanzhaushalt des kleinen Städtchens Helmstedt ist nach Wegfall der Braunkohleförderung in große Not geraten. Verschlimmert wird die wirtschaftliche Schieflage durch die gefährdeten Arbeitsplätze im nahenVolkswagenwerk.
Die Zukunft schien ausgesprochen düster. Kein Politiker wollte eigenverantwortlich Entscheidungen treffen.
So beschloss der Rat , einen Fachmann aus dem fernen Hannover mit einem Gutachten zu beauftragen. Die Wahl fiel nach langer Diskussion auf das Büro Till Eulenspiegel. So sandten sie ein Telefax an das Beratungsbüro Eulenspiegel.
Die Expertise der Berater musste besonders groß sein, denn das Gutachten war sehr teuer. Das Büro hatte schon viele andere Gutachten geschrieben, die in den Schubladen der Verantwortlichen in der Stadt Helmstedt bereits gut abgelagert schlummern.
Da wieder eine fürstliche Bezahlung winkte, entsandte das Büro Till Eulenspiegel persönlich.
Das kleine Städtchen Helmstedt ist nur schwer mit dem Öffentlichen Personenverkehr erreichbar. Der schlechte ÖPNV wird durch zahlreiche Baustellen noch schlechter. So macht sich Till mit seinem geförderten Lastenfahrrad auf den Weg. Auf halbem Wege waren auf den mangelhaften Radwegen im Landkreis Helmstedt alle Reifen platt. Also setzte er seinen Weg zu Fuß fort. Auf dem Rücken trug er seinen Jute-Rucksack mit einem veganen Frühstück und einem kalten Kaffee im Mehrwegbecher.
So wanderte er vorbei, an Fotovoltaikanlagen, Biogasanlagen und Windrädern. Er wanderte früh morgens über die karge Landschaft und freute sich an dem kühlen und nassen Wetter. Die Sonne schien hell hinter einer dicken Wolkendecke. Krähen und Elstern saßen in den kahlen Bäumen.
Eulenspiegel musste hell auflachen, als er einem Mann mit einem Fass auf der Schulter begegnete. Es war wohl eine halbe Stunde entfernt von Helmstedt. Der Mann lief querfeldein, als ob ihn die Wölfe hetzten.
Das erregte natürlich Eulenspiegels Neugier in höchstem Maße, und er rief ihm hinterher:
“ He, was rennt ihr denn so?“.
Aber der Mann sah sich nicht um und lief nur umso schneller. Till, nicht faul, setzte ihm mit seinen langen Beinen nach. Und so ging’s über Felder, Zäune und Gräben, als ob sie etwas gestohlen hätten. Endlich stolperte der Fassträger über ein tiefes Schlagloch in der Landstraße und fiel zu Boden. Erst jetzt konnte Eulenspiegel ihn einholen.
"He, was rennt ihr denn so wie ein Narr?“ Fragte er atemlos und half dem Mann beim Aufstehen. “ Oh Gott, oh Gott.“ jammerte der los,“ der Krieg steht vor der Tür! Hört ihr denn nicht, wie die Trommel geht?“
Eulenspiegel hielt den Atem an und horchte. Tatsächlich, auch er hörte nun, dum, dum, summ, dum, summ, summ - es klang wie entfernter Trommelschlag. Doch Eulenspiegel merkte bald, dass die vermeintliche Trommel im Fass des Bauern dröhnte, und als er sein Ohr an die Bretter legte, wusste er, dass sich ein großes Insekt in dem Fass gefangen hatte, eine Hornisse wahrscheinlich, die nun darin summte und immer wieder an die Fasswände stieß , weil sie das Spundloch suchte.
Das war ein Fressen für unseren Experten aus der Großstadt. Er setzte eine bedenkliche Miene auf und sagte zu dem Bauern: "Ihr habt recht, guter Freund! Das klingt wie eine entfernte Kriegstrommel. Gott beschütze das gute Helmstedt. Kommt, wir laufen, was uns die Beine tragen, um die Bürger zu warnen, damit sie noch bergen können, was ihnen wertvoll ist, bevor Kriegs- und Feuersnot über die Stadt herein bricht!“
Der Mann hob wieder sein Fass auf die Schulter, und nun liefen beide wie zwei Schnellläufer bis vor das Tor der Stadt. Mit ihnen lief das Dröhnen der feindlichen Trommel. Atemlos kamen beide in die Stadt. Durch die vormittags menschenleere Fußgängerzone "Neumärker Straße“ ging es vorbei an Spielhallen, Späties, Barbershops, Nagelstudios, Imbissbuden, Spielhallen, Tattoostudios und verlassene Geschäften zum Rathaus.
Dort schlugen sie einen gewaltigen Lärm, hießen die Mitglieder des Rates sich zu versammeln und kündeten den Bürgern von der nahen Kriegsgefahr. Da begann ein großes Wehklagen und jeder lief und verbarg, was ihm am teuersten war.
Doch dem Rat der Stadt bangte am meisten um die Goldmünzen der BKB, die in einem Kästchen im Rathaus lagen. Wie sollte man das Gold der BKB vor dem Feinde retten? Da wusste unser Experte guten Rat. Er empfahl den Ältesten der Stadt, das Kästchen im nahen Lappwaldsee zu versenken, bis die Kriegsgefahr vorüber sei. Dann könnte man es wieder herausholen und wieder vor der Kommunalaufsicht verbergen.
Man holte also das Kästchen aus dem Tresor und fuhr es zum See und lud es dort in ein Boot. Als die Abordnung der Bürgerschaft schon mitten auf dem See ruderte, da kam doch einem noch der kluge Gedanken, zu fragen, wie man denn das versenkte Kästchen wiederfinden wolle?
"Das ist nicht schwer“, sprach der Eulenspiegel und zog sein Taschenmesser mit vorschriftsmäßig 4 cm langen Klinge heraus – gerade lang genug, um die Reifen der verhassten SUV zu zerstechen.
"Sieht hier. Ich schneide eine Kerbe in den Bootsrand. An dieser Stelle lasst ihr das Seil laufen, das das Kästchen versenkt. An dieser Stelle werdet ihr es wiederfinden!“
Das schien dem Bürgermeister ein kluger Rat, und sie versenkten die Goldmünzen an der Kerbe. Als dies zu Ende gebracht war, zog Eulenspiegel mit fürstlichem Lohn und Dank der guten Helmstedter wieder ins heimatliche Hannover.
Doch Helmstedt wartete vergeblich auf den Krieg. Alles blieb still und endlich meinten sie, dass die Gefahr vorbei sei. Da fuhren sie auf den See hinaus, um den Schatz wieder einzuholen. Doch so viel sie auch an der Kerbe des Bootes fischten, das Kästchen, fanden sie nicht wieder. Nun erst erkannten sie, wie gut Eulenspiegels Rat gewesen war.
Sie packten das Gutachten zu den anderen in die Schublade, wo es sicher unter weiteren Expertisen begraben liegt.
Verfasser: Wolfgang Schmidt
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